[Motivierte Erzieher ?!?]

FR 04.02.2011 Der SPD-Bundesvorsitzende Sigmar Gabriel trifft in der beruflichen Schule Berta Jourdan auf angehende Erzieherinnen. Und die haben ein bisschen was aus der Realität jenseits von Fernsehnachrichten zu erzählen.

Zum Hufeisen fügen sich die Tische, an denen dicht gedrängt die Frauen sitzen und vor ihnen Sigmar Gabriel. Und während draußen die schwere schwarze Limousine mit Berliner Kennzeichnen und die Polizeieskorte warten, nimmt sich der Bundesvorsitzende der SPD in der Cafeteria der Berta Jourdan-Schule richtig Zeit. Und taucht tief in den Alltag einer der größten berufsbildenden Schulen der Rhein-Main-Region ein. „Die ganze Welt ist hier vertreten“, sagt Ingeborg Schroeder, die kämpferische Direktorin, zur Begrüßung – und meint die „weit über 70 Prozent Migranten in der zweiten und dritten Generation“ unter den 1678 Schülern.

In 22 Klassen werden Erzieherinnen (97 Prozent) und Erzieher (drei Prozent) ausgebildet – und der frühere Lehrer Gabriel hört geduldig zu, nimmt sich zurück, nur manchmal blitzt die Unduldsamkeit auf, für die der 51-jährige Niedersachse berüchtigt ist.

„Im falschen Beruf“

Von allen Seiten prasselt es auf den ehemaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten ein. „Viele von uns sind im falschen Beruf“, klagt eine Frau aus dem Iran, die dort sechs Jahre als Erzieherin gearbeitet hat: „Das wird in Deutschland vom Staat nicht anerkannt.“ Allen geht es so. Die Spanierin: „Es ist ungerecht, dass Frauen zwischen 30 und 40 von Null anfangen müssen!“ Sie fügt hinzu: „Viele von uns gehen putzen, das ist traurig, aber wahr.“

Eine Afghanin berichtet: „Eine Erzieherin hat null sozialen Status in Deutschland.“ Von Freunden hat sie zu hören bekommen, „was machst du da schon, du spielst mit den Kindern“. Eine Marokkanerin beklagt, dass die angehenden Erzieherinnen während ihrer Praxis-Tage in den Kindertagesstätten „völlig alleine gelassen“ werden. Man vertraue ihnen sofort die Kinder an, statt sie auszubilden: „Wir wollen von Fachleuten angeleitet werden.“

Gabriel schaut grimmig, rät sofort: „Wenn das so ist, dann stimmt etwas in der Einrichtung nicht – Sie müssen sich beschweren“. Die Frauen haben sich auf den Besuch vorbereitet, genau überlegt, was sie in der kurzen Zeit sagen, die ihnen bleibt. Sie fordern, dass zumindest ein Teil ihrer Ausbildung in der Heimat hierzulande anerkannt wird. „Ich verliere hier mein Selbstbewusstsein“, bilanziert eine Frau, die im Iran Psychologie studierte, in Deutschland aber „in der Küche arbeiten“ musste: „Jeder Mensch braucht Anerkennung.“

Unterschätzt, schlecht bezahlt

Gabriel spricht von der „dramatischen Unterschätzung“ und der schlechten Bezahlung in allen sozialen Berufen in Deutschland: „Wir werden Probleme bekommen, in den nächsten Jahren Nachwuchs für die sozialen Berufe zu bekommen.“ In der Bibliothek im vierten Stock, die 16 Computer-Arbeitsplätze bietet, hört er den Lehrern zu, die über die „Kultur des Nicht-Vertrauens“ gerade unter den Langzeitarbeitslosen sprechen, die zur Ausbildung an die Schule kommen. Der SPD-Chef übt Selbstkritik. Leert seine Kaffeetasse in zwei Zügen. „Auch die Sozialdemokratie hat ein bisschen ein patriarchalisches Verhältnis zu Ausländern.“ Kein einziger Migrant gehöre dem SPD-Bundesvorstand an. Ein CDU-Ministerpräsident sei es gewesen, der die erste Migrantin zur Landesministerin ernannt habe. Als die Stadtverordnete Rita Streb-Hesse zaghaft auf Ausländer in der Frankfurter SPD hinweist, fährt er ihr über den Mund: „Ich halte von Beschwichtigungsversuchen gar nichts.“

Wenigstens ist die Schule nach einer SPD-Stadtverordneten (1924-28) benannt. Schulleiterin Ingeborg Schroeder hat Gabriel „privat kennen gelernt“ und ihn sofort eingeladen. Die Frauen von der Berta Jourdan-Schule geben dem SPD-Chef Stoff zum Nachdenken für die Rückfahrt nach Berlin. „Wir sind Menschen“, ruft die Frau aus dem Iran.

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